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„Komm Bursche“, rief der ältere Mann im Gewand eines katholischen Priesters. „Du kannst dich nun von deiner Mutter verabschieden!“ Der Angesprochene war ein Kind von etwa acht Jahren. Lange brünette Haare umrahmten ein Gesicht, in dem die stahlblauen Augen besonders hervortraten. Heinrich Kramer war ebenso dürr, verlaust und verdreckt, wie die meisten anderen Gleichaltrigen. Er war gerade damit beschäftigt, möglichst viele der herumstreifenden Mäuse und Ratten mit einer zugespitzten Holzlatte zu töten. Bisher allerdings hatte er noch keines von den Viechern erwischt. Sie waren einfach zu flink für den Achtjährigen. Es schien ihm aber nichts auszumachen. Mit starrem Gesicht versuchte er es immer wieder; ohne Erfolg.
„Wohin geht sie denn die Mutter?“ Ohne seinen Kopf zu heben oder den Rufer wenigstens anzuschauen kam seine Antwort. Er fuhr ohne Unterbrechung mit seinen Jagdbemühungen fort. „Schau mich wenigstens an, du Sauschwanz. Ich rede mit dir“, keppelte ihn Pfarrer Tobias Waller an. Waller, ein wohlbeleibter um nicht zu sagen fetter Mann, war der Pfarrer der kleinen Gemeinde. Also eine, im wahrsten Sinn des Wortes, gewichtige Persönlichkeit. Schlettstadt war eine typische Kleinstadt mit wenigen tausend Bewohnern. Das Rathaus, die Kirche, der Pfarrer und das Wirtshaus bildeten den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt des Ortes.
„Deine Mutter ist soeben in die ewige Verdammnis eingegangen. Mitsamt ihrem Bastard! Gott der Herr hat ihre Sündhaftigkeit bestraft. Vielleicht wird er ihr später vergeben. Wir wollen darum beten!“ Jetzt hob der Knabe doch den Kopf und blinzelte zu Waller. „Tot? Ist sie tot? Kommt sie denn niemals wieder?“ „Nein, du Tölpel! Erst am Tag des Jüngsten Gerichts; vielleicht“, setzte Waller nach. „Wenn ihr der Herr ihre schwere Sünde vergeben hat.“
Sophie Kramers „schwere Sünde“ bestand darin, dass sie sich auf eine außereheliche Liaison mit einem reisenden Spielmann eingelassen hatte. Nun, das allein war nichts Ungewöhnliches. Sophie allerdings war nach der einmaligen Begegnung schwanger geworden. Der Gaukler war weitergezogen und hatte von seiner zukünftigen Vaterschaft keinen blassen Schimmer. Vermutlich wäre ihm das aber ohnehin egal gewesen. Heinrichs Vater war seit über zwei Jahren verschwunden. Wohin? Niemand wusste es. Gerüchte kursierten, er hätte sich einem Trupp von Kriegsknechten angeschlossen, die im fernen Spanien brandschatzten, raubten und mordeten. Vielleicht war er auch schon tot. Seine zurückgelassene Ehefrau hatte sich nach besten Kräften bemüht, ihrem Sohn und ihr das Überleben zu sichern: mit einfachen Dienstleistungen für andere, denen das Leben nicht so übel mitgespielt hatte. Als Folge daraus bekam Heinrich weniger Zuneigung und Liebe – mit all den sozialen und emotionalen Folgen.
Auf Erziehung und Bildung der Kinder wurde ohnehin kein besonderer Wert gelegt. Vielmehr wurde es dem Umfeld überlassen, dass die Kinder in die Gesellschaft hineinwuchsen. Indem sie den Eltern und Verwandten beim Singen und Erzählen zuhörten, bei Festen die betrunkenen und tanzenden Erwachsenen beobachten, die Arbeit der Erwachsenen durch Beobachten und Nachahmen erlernten und sich mit den anderen Kindern auseinandersetzen mussten. Kinder wurden von den Eltern, die meist am Rande des Erträglichen lebten, als kostenlose Arbeitskräfte und Altersversorgung angesehen. Sie mussten am Feld mitarbeiten – sofern die Eltern eines besaßen - sobald sie laufen und mit ihren Händen arbeiten konnten. Wurde das ihnen auferlegte Arbeitspensum nicht erreicht, so erwarteten die Kinder körperliche Strafen wie Verprügeln oder Essensentzug. Schon bei den Kindern wurde es also deutlich, wie die Unterschiede zwischen arm und reich hervortraten und den gesamten Lebensweg beeinflussten.
Stumm und ohne sichtbare Emotion stand nun der Bub vor dem Strohhaufen, auf dem seine Mutter lag. Neben ihr ein kleines Wesen, ein Mädchen, das noch durch eine Art Schlauch mit der Mutter verbunden schien. Alles war voller Blut. Die Mutter zwischen den Beinen, das Wesen am ganzen Körper und das unter ihnen liegende Stroh überhaupt. Eifrig und gierig kreisten schon Fliegen und andere Insekten um die beiden Leichen herum. Die 26jährige Sophie Kramer hatte ihre Augen noch geöffnet und starrte damit anklagend aber blicklos ihren Sohn an.
„Sie hat`s halt net derpackt“, raunte die alte Hölzl, eine Art Hebamme im Städtchen, Heinrich zu. „So hundsjung… und doch…!“
„Eine Sünderin war sie“ kreischte Waller rüde. „Eine wollüstige und geile Weibsperson! Gott der Herr hat sie dafür bestraft! Genauso wie die jüdische Teufelsbrut, die Christusmörder Loben wir den Herrn dafür!“
Die Hölzl starrte den Pfarrer an. „Wenn’s meinen, hochwürdigster Herr. Trotzdem, jemand muss ihr die Augen schließen. Heinrich mach das!“
Der Bub blickte stumm auf den ausgebluteten Körper vor ihm. Dann tat er das, was die Hölzl ihm aufgetragen hatte. Danach wandte er sich um und ging wieder hinaus: weiter Mäuse und Ratten jagen. „Ein komischer Kauz ist er, der Bub. Keine einzige Träne hat er geweint. Immerhin war sie doch seine Mutter. Jetzt ist er ein Waisenkind. Wie es ihm wohl ergehen wird?“ Die alte Frau Hölzl wunderte sich. „Wenn es im Plan des Herrn ist, dann wird er sich schon um ihn kümmern.“ Mit diesen Worten verließ der Pfarrer die bescheidene Hütte der Kramers. Ein reichliches Mittagsmahl und ein darauffolgendes Schläfchen warteten auf ihn. Danach würde er dafür sorgen, dass die beiden Leichen abgeholt würden und sie an der hintersten Ecke des städtischen Friedhofs verscharren lassen. Keinesfalls würde er ein christliches Begräbnis durchführen. Sophie Kramer war doch eine zu schwere Sünderin gewesen.
Heinrich Kramer hat nie erfahren wann, wie und wo seine Mutter begraben wurde. Es hat ihn aber auch nie interessiert. Heute würde man ihn einen Soziopathen nennen. Ein im Mittelalter unbekannter Zustand und Begriff. Gefühle wie Mitleid, Bedauern und ähnliches sind Soziopathen fremd. Sie kennzeichnen sich vor allem durch konsequente Rücksichtslosigkeit ihren Mitmenschen gegenüber. Soziopathen sind meist aggressiv und manipulativ. Sie missachten auch gültige gesellschaftliche und soziale Normen. Erfolg haben sie meist oft nur, wenn sie ihre Mitmenschen belügen und manipulieren...
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